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            Interview mit Kirill Swiderski, Leiter der jüdisch-messianischen Gemeinde Beit Emet – Haus der Wahrheit – in Chicago, USA

Wie bist du in die messianische Bewegung hineingekommen?

Es ist im Jahre 1995 passiert. Ein kanadisches Ehepaar, Missionare von „Operation Mobilisation“, die von den zahlreichen Auswanderungswellen der sowjetischen Juden nach Deutschland beeindruckt waren, verschickten eine Einladung zu der ersten von ihnen organisierten messianischen Konferenz in der Räumlichkeiten ihrer Organisation in Mosbach an die jüdischen Mitglieder der deutschen Kirchen. So sind auch wir, die zu der Zeit einer Baptistengemeinde in Neuss angehörten, eingeladen worden. Eigentlich wollte ich nicht hinfahren. Die Wortkombination „jüdisch-messianisch“ war für mich fremd und ich dachte, es ginge um eine rein jüdische Veranstaltung. Eigentlich ging ich jeden Samstag zur Synagoge, wo ich mich wohl und vollkommen zu Hause fühlte und sonntags zur baptistischen Kirche. Beim Bibellesen wünschte ich mir immer Glaubensgeschwister aus meinem Volk zu finden, die mit uns unseren gemeinsamen Glauben an Jeschua im Kontext der jüdisch-biblischen Tradition zum Ausdruck bringen würden. Eine jüdisch-messianische Gemeinde hatte ich also bereits im Hinterkopf, ohne dabei zu wissen, dass es diese Bewegung schon gab! 

Meine Frau bestand auf ihrer Meinung „wir fahren“ und... wir fuhren.

Auf der Konferenz in Mosbach entdeckten wir 15 messianische Juden, die teilweise mit der messianischen Bewegung bereits vertraut waren. Zum ersten Mal im Leben hörte ich eine jüdisch-messianische Botschaft und jüdisch-messianische Lieder, die mich zum Weinen brachten. Ich weinte aus einer Freude heraus, die ich bis dahin nicht gekannt hatte, als ob ich mein Volk, meinen echten Platz nach einer langen Suche gefunden hätte. Von da an war es mir klar, ich gehöre dazu, ich mache mit. Ein Jahr später haben wir (meine Frau und ich) zuerst in Mönchengladbach und dann in Düsseldorf mit der Gründung unserer Gemeinde „Beit Hesed“ angefangen. Etwas später luden uns Christen einer Baptistengemeinde in Mühlheim an der Ruhr ein, ihnen bei der Gründung einer jüdisch-christlichen (so haben sie es genannt) Versammlung zu helfen. Wir waren anderthalb Jahre dabei, und so entstand eine neue Gemeinde, die sich nun in Essen versammelt. 1998, als ich in einer Bibelschule in Bonn studierte, fing ich auch dort an, Juden die Gute Nachricht zu verkündigen. Freitags ging ich ganz alleine zu den Übergangswohnungen von Juden und sprach die Bewohner an. Einige unter ihnen sind auch zum Glauben gekommen. Einmal wurde ich zum Predigtdienst nach Aachen eingeladen. Dort gab es Gläubige, die eine messianische Gemeinde gründen wollten. Kurz  danach ist auch dort eine Gemeinde entstanden. Seit 2007 wohnen wir in Chicago, USA, wo eine neue Gemeinde „Beit Emet“ entstanden ist. Seit 17 Jahren sind wir tief in der messianischen Bewegung integriert; wir lieben sie und sind darin total zu Hause.

 

Gibt es einen Unterschied zwischen den deutschen und  amerikanischen messianischen Gemeinden?

Eigentlich nicht. In beiden Fällen ist die Bibel die Grundlage des Glaubens. Die grundsätzlichen Dinge sind gleich. Die Art und Weise der Anbetung können unterschiedlich sein: Einige betonen mehr oder weniger die jüdische Liturgie, andere nicht. Doch für mich ist all dies nur eine Verschönerung des Gottesdienstes. In der Verkündigung des Wortes gehen alle dieselben Richtung.  

 

Ab und zu wird gepredigt, dass die Erweckung, die du selbst erlebt hast  – es ist bekannt, dass in der 90er Jahren viele sowjetische Juden, die nach Deutschland ausgewandert waren, sich einsam fühlten und nach Gemeinschaft suchten –  nun vorbei sei. Die Juden sind nicht mehr so offen, sie suchen keine Gemeinschaft mehr. Man sagt, es sei nun die Zeit des innerlichen Wachstums für die messianischen Gemeinden. Es sei eine gute Zeit für die Leiter, die sich ausbilden lassen können, für die Mitglieder, die sich mit der messianischen Lehre richtig auseinandersetzen können, für die Gründung von messianischen Bünden, Allianzen usw.Du hast mich falsch verstanden, ich habe das Wort „Erweckung“ nicht genannt. Ich glaube nicht an eine Erweckung, sondern an Jeschua. Sein Missionsbefehl (Mt.28:19-20) ist  für uns sowohl zeitlich als auch geistlich nicht begrenzt.

Da wir die Zeit Seiner zweiten

Ankunft nicht kennen, gilt es heute genauso wie es vor 2000 Jahren war. Und wenn wir überhaupt von einer Erweckung sprechen, soll es nicht um eine besondere Situation gehen (die Juden, die nach Deutschland gekommen waren, suchten nach Gemeinschaft, daher waren sie offen für das Evangelium), sondern um uns. Ich bin zu neuem Leben erweckt worden, als ich die Gemeinschaft der messianischen Juden im Jahre 1995 erlebt habe. Wir sollen erweckt werden, um zu Menschen zu gehen.

Jeden Donnerstag ging ich mit einem amerikanischen Bruder los, um von Tür zu Tür zu

. Wir verteilten Bibeln, unsere Zeitung „Kol Hesed“, die nun auch in Russisch herausgegeben wird (die meisten Juden, die im Gebiet meiner Gemeinde wohnen, stammen aus den Republiken der ehemaligen Sowjetunion), und versuchten, ein Gespräch mit den Menschen anzufangen. Dieser Bruder gab zu, dass heutzutage in den Staaten diese Art der Evangelisation kaum noch praktiziert wird, denn man fürchtet sich davor, mit Werbungsleuten, Bettlern oder im besten Falle mit Zeugen Jehovas verglichen zu werden. Man versucht, die Gottesdienste schöner zu machen, noch mehr Dienste anzubieten usw., um  noch mehr Menschen in die Gemeinde zu locken. Doch diese Methoden findet man nicht in der Bibel. Lasst uns also lieber evangelisieren und das Wort Gottes ernst nehmen.

Sicher ist es nie zu spät, sich biblisch ausbilden zu lassen. Doch in diesem Bereich steckt, glaube ich, auch eine Gefahr. Ich habe selbst mehrmals erlebt, wie aus brennenden Evangelisten, die das Wort Gottes leidenschaftlich predigten, wodurch messianische Gemeinden entstanden und die Gute Nachricht unter dem auserwählten Volk Gottes gepredigt wurde, diplomierte und promovierte religiöse Philosophen wurden, die, statt das Wort Gottes zu predigen, unnötige Bündnisse schlossen und vor allem das liebten: “den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen und die Begrüßungen auf den Märkten und von den Menschen Rabbi, Rabbi! genannt zu werden” (Mt. 23:6-7)... Das ist der Grund, warum man denken könnte, dass wir in einer speziellen Zeit leben, dass die Juden besonders für das Evangelium aufgeschlossen sind. Gott hat uns keinen Messstab gegeben, um die Herzen der Menschen  zu prüfen, sondern Er sandte uns in die Welt, und zwar in erster Linie in die jüdische Welt (Apg.1:8, Rö.1:16), um die Gute Nachricht zu predigen. Eine gute biblische Ausbildung schadet nicht, doch das biblische Wissen soll den Geist Gottes nicht trüben. 

 

Kann eine biblische Ausbildung so gefährlich sein?

Ich sehe drei Gründe. Zu Bibelschulen gehen oft unreife Gläubige, die im Glauben noch nicht fest gegründet sind, die das Evangelium noch nicht voll und ganz erfasst haben. Das biblische Wissen, das sie auf einmal in einer Menge bekommen, ersetzt den Geist Gottes. Jetzt wollen sie eine logische Erklärung für alles, statt im Glauben zu wandeln.

Zweitens hängt vieles vom Lehrer ab. Einmal sagte ein Bibellehrer, dass er in seiner Gemeinde nie Menschen zur Lebensübergabe nach vorne aufgerufen hätte. Er fürchtete, dass niemand kommen würde. Nachher haben einige Bibelschüler mir zugegeben, dass sie es deswegen auch nicht machen würden. Dazu gibt es in den Bibelschulen immer noch Lehrer, die gegenüber Israel nicht besonders freundlich gesonnen sind. Ich werde nie vergessen, wie mir ein Bibelschullehrer vor einer Menschenmenge ganz offen sagte, dass er der Meinung ist, die Deutschen hätten mit den Juden dasselbe gemacht, wie die Juden mit Jesus.

Drittens ist insbesondere in den Staaten eine wahre „christliche“ Industrie entstanden. Dort gibt es alle möglichen Bibelschulen: teure, günstige usw.. Wenn man eine Karriere als Pastor oder Bibellehrer machen möchte, geht man zu einer guten (= teuren) Bibelschule, wo die Ausbildung viel kostet. Danach hat man die Möglichkeit, sich bei „guten“ Kirchen zu bewerben, die höhere Löhne bezahlen. Dieses System kann für Gottesdiener tödlich sein (1Joh.2:15). Leider zieht ein bequemer Ledersessel vor einem modernen Schreibtisch manche Bibelschüler mehr an, als die Erfüllung des Missionsbefehls Jeschuas.

 

Wie hast du deine Gemeinde in Amerika angefangen?  

Im Jahre 2007 habe ich

beschlossen, meine Gemeinde in Düsseldorf zu verlassen. Dafür gab es viele Gründe. Vor Jahren habe ich an einem Seminar mit einem bekannten Gemeindegründer teilgenommen. Er bewies damals sehr klar, dass viele Gemeindegründer immer den selben Fehler machen, indem sie zu lange in ihrer Gemeinde als Pastor dienen. Da sie eine ziemlich begrenzte Vorstellung von Gemeinde haben, bremsen sie ab einer gewissen Zeit das Wachstum ihrer Gemeinde. Da ich selbst solche Missionare kannte, fing ich schon damals an, dafür zu beten, meine Gemeinde rechtzeitig zu verlassen. Im Jahre 2005 hatten wir eine Wohnung bei einer Kirche in Düsseldorf-Benrath gemietet. Dabei dachten wir, die „Christen“ (Geschwister!) werden uns doch schlechte Wohnung geben. Zu unseren eigenen Kosten haben wir die Wohnung praktisch umgebaut, denn wir dachten, wir würden hier eine lange Zeit leben. Doch nach kurzer Zeit stellten wir fest, dass diese Wohnung total feucht war. Unsere kleine Tochter bekam Asthma, die Kirchenleitung änderte sofort ihre freundliche Einstellung zu uns und auf unseren Briefkasten wurde ein Hakenkreuz geritzt. Genug Beweise, die uns zeigten, dass wir hier nicht mehr erwünscht waren. Zu dieser Zeit lud mich mein Missionswerk für ein Sabbatjahr nach Amerika ein. Im Gebet wurde uns klar, dass dies die Antwort des Herrn war. In der Zwischenzeit hatten wir die Gemeinde auf unsere Abreise vorbereitet, und ein neuer Pastor, der früher als einer der Ältesten diente, wurde von mir ordiniert.

Nach meinem letzten Gottesdienst fühlte ich mich so, als hätte ich ein Kind verloren. Ich hätte nie gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, meine Gemeinde, in der ich 12 Jahre lang gedient habe, zu verlassen.  

Die ersten drei Monate in Chicago habe ich viel gelesen und gebetet. Einmal sollten wir eine ärztliche Bescheinigung zur Schule unserer Kinder bringen. Dafür fuhren wir zu einer Klinik, die sich in einem armen Viertel Chicago befand. Gegenüber der Klinik stand eine Kirche, die wir unbedingt besuchen wollten. Am nächsten Sonntag waren wir da. Die Versammlung bestand nur aus 5 älteren Leuten, die uns erzählten, dass hier früher viele Juden waren. Da aber niemand mehr da war, der sich um sie kümmerte, gingen sie alle weg. An diesem Tag sprach der Herr sehr deutlich zu uns. Nach dieser Versammlung gingen wir zu einem naheliegenden Laden und nahmen einige jüdische kostenlose Zeitungen mit. Wir suchten nach der richtigen Art der Werbung für unsere erste Evangelisation. Auf einer Seite stand eine Werbung für die Behandlung durch einen Wunderheiler. Sofort dachte ich mir, dass es genau das Richtige sei. Schließlich stand es fest, wie unsere Werbung aussehen sollte: „Für alle, die ihre Zukunft erfahren wollen! Kirill Swiderski (Deutschland) mit den geheimnisvollen Offenbarungen aus dem Buch des Propheten Jesaja!“.

Da wir kein Geld für eine Anzeige in der Zeitung hatten, druckten wir sie einfach zu Hause aus und verteilten sie überall, wo es nur möglich war. Es kamen ca. 40 Leute. Am Ende der Veranstaltung sind 5 Leute geblieben, die mit mir gebetet haben. So ist eine kleine Versammlung geboren worden, die wir eine Zeit lang geleitet haben. Später bat uns mein Missionswerk, noch länger in den Staaten zu dienen. Wir waren von der Zahl der Juden, die in unserer Nähe lebten, sehr beeindruckt. Es war vor allem die Tatsache, dass es für ca. 1 Million russischsprechende Juden nur ca. 10 messianische Gemeinden gab (manche davon bestanden nur aus 5-6 Leuten). Im Vergleich dazu gibt es für ca. 250 000 russische Juden, die in Deutschland leben, bereits ca. 40 messianische Gemeinden. Obwohl alle materiellen Umstände wie finanzielle Versorgung, Gesundheit und die Ausbildung unserer Kinder dafür sprachen, nach Deutschland zurückzukehren, haben wir „Ja“ gesagt.  Heute besteht unsere Gemeinde „Beit Emet – Haus der Wahrheit“ aus 30 Mitgliedern, in den Gottesdiensten sind ca. 50 Leute anwesend. Jeden Schabbat sehe ich neue Gesichter. Wir haben schon zwei Tauffeste und eine Hochzeit gefeiert. Ich bin gewiss, wir werden noch vom Herrn wunderbar gesegnet werden.

 

Was wünschst du der messianischen Bewegung?  

Sich nicht zu schämen, auf die Straße zu gehen, um das Evangelium zu verkündigen. Wir brauchen keine Erweckung, sondern die Führung des Heiligen Geistes, der in uns wohnt.

Zusammen schaffen wir noch mehr!

 

Vielen Dank!

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